Seit unserer Kindheit haben wir alle die lieb gewonnene, aber teils auch zwanghafte Angewohnheit, am Beginn eines neuen Jahres Bilanz zu ziehen und eine Liste mit guten Vorsätzen zu erstellen. Ein Jahr, an das wir uns alle erinnern werden, ist vorüber. Insbesondere in Italien wird 2021 hoffentlich nicht nur wegen der nach wie vor wütenden Corona-Pandemie in Erinnerung bleiben, sondern auch wegen der Olympischen Spiele und der erfolgreichen Fußball-EM (meine Kollegen bei FERALPI STAHL mögen es mir verzeihen!).
2022 beginnt.
Noch nie stieß ich wie in den ersten Tagen dieses neuen Jahres beim Durchblättern der großen Tageszeitungen (inzwischen online) auf so viele Artikel zum Thema Arbeitsschutz.
Besser gesagt über mangelnden Arbeitsschutz.
Woher kommt dieses plötzliche Interesse? Ist die Politik etwa aufgewacht? Gibt es Neuigkeiten von der Industrie? Wurden gerade revolutionäre Technologien auf diesem Gebiet entwickelt? Gibt es neue Ergebnisse von Fachkongressen?
Nein.
Wenn es denn so wäre, hätte es seit vielen Jahren schon jeweils zum Jahresbeginn so sein müssen.
Die Aufmerksamkeit der Medien rührt diesmal von ganz anderer Seite her, die zudem viel größere Wirkung entfaltet. Das Problem des Arbeitsschutzes wurde von Papst Franziskus angesprochen. Und zwar nicht an irgendeinem Sonntag im Jahr, sondern in der Predigt bei der Weihnachtsmesse.
Gott kommt in dieser Nacht, um die Härte der Arbeit mit Würde zu erfüllen. Er erinnert uns daran, wie wichtig es ist, dem Menschen mit der Arbeit, aber auch der Arbeit des Menschen Würde zu verleihen, denn der Mensch ist Herr über die Arbeit und nicht ihr Sklave. Am Tag des Lebens wiederholen wir: Keine weiteren Todesfälle am Arbeitsplatz! Verpflichten wir uns dazu.
Ein sehr wichtiger Vorsatz, der von uns verlangt, gründlich darüber nachzudenken.
Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Papst von Tod spricht ... Der Ruf des Papstes klingt wie ein schriller Wecker 6 Uhr morgens nach einem langen Abend. Ein Weckruf für uns, um Bilanz zu ziehen und uns mit großer Demut daran zu machen, unsere Neujahrsvorsätze in die Tat umzusetzen.
Zudem zeigen Daten von Eurostat, dass die Zahl der Arbeitsunfälle in Europa immer noch zu hoch ist.
Laut den Eurostat-Daten wurden 2020 mehr als 4,6 Millionen Arbeitsunfälle gemeldet. In absoluten Zahlen heißt das, dass es mehr Arbeitsunfälle gegeben hat, und das nicht zu knapp. Noch 2014 meldete die Europäische Kommission knapp über drei Millionen Arbeitsunfälle. Und Deutschland und Italien sind hier nicht gerade Vorbilder An der Spitze einer Rangliste, die wahrlich niemand anführen möchte, steht Frankreich mit 1,2 Millionen Unfällen, gefolgt von Deutschland (771.134 Unfälle), Spanien (454.992) und Italien (333.345). Von den Arbeitsunfällen im Jahr 2020 entfallen somit mehr als 50% (2,7 Millionen) auf diese vier Länder, die freilich auch zu den Ländern gehören, in denen die verarbeitende Industrie eine wichtige Rolle spielt.
Es ist klar, dass die Unternehmen hier zusammen mit den Institutionen eine entscheidende Rolle bei der Unfallverhütung spielen.
Doch welche Hebel kann man heute zur Verbesserung des Arbeitsschutzes in einem Industriebetrieb in Bewegung setzen? An welchen technologischen, organisatorischen und kulturellen Fronten muss gearbeitet werden?
Gute Frage.
Es gibt kein Patentrezept mit dem richtigen Mix von technologischen und organisatorischen Maßnahmen, mit dem sich unabhängig von den konkreten Gegebenheiten immer ein gutes Ergebnis erzielen ließe. Es braucht eine gründliche Analyse der individuellen Umstände eines Betriebes, um in einer konkreten technologischen und organisatorischen Situation die Prioritäten im Hinblick auf den Arbeitsschutz richtig zu setzen. Aber eines steht fest: Verbesserungspotenziale müssen zwangsläufig überall dort existieren, wo die Zahl der Arbeitsunfälle größer als NULL ist.
Es liegt auf der Hand, dass es aus technologischer Sicht relativ einfach ist, auf die besten verfügbaren Technologien zurückzugreifen, auch wenn dies zunächst aufwändig erscheinen mag (beginnend mit der Planung einer neuen Anlage oder einer Modernisierungsmaßnahme). Will man es richtig machen, sollten neben den Spezialisten aus den Bereichen Fertigung und Instandhaltung von Anfang an auch Arbeitsschutzexperten in ein aktives Brainstorming einbezogen werden. Ziel sollte es sein, Spezifikationen und Regeln festzulegen, die in jedem Fall einen sicheren Betrieb gewährleisten.
Weniger klar ist hingegen, wie Möglichkeiten gefunden werden können, um auch bei anderen Hebeln, nämlich sowohl organisatorischen als auch kulturellen, anzusetzen. Das ist heute die eigentliche Herausforderung, denn damit lässt sich dem entgegenwirken, was nach einschlägigen Unfallanalysen heute als Hauptursache für Arbeitsunfälle gilt: Verhalten, das nicht dem Arbeitsschutz entspricht.
Alle weitsichtig agierenden Unternehmen haben längst begriffen, dass ein proaktives Management von technischen Investitionen in den Arbeitsschutz langfristig auch wirtschaftliche Vorteile bringt.
Ohne diesen wichtigen Aspekt aus den Augen zu verlieren, besteht die Herausforderung nun darin, alle internen und externen Mitarbeiter, die im Bereich der Fertigung und der Instandhaltung eingesetzt werden, in einem kulturellen Prozess zu begleiten, durch den die Nutzung der technischen Investitionen in den Arbeitsschutz optimiert wird und Arbeitsunfälle durch das Abstellen von nicht arbeitsschutzgerechtem Verhalten komplett vermieden werden.
In diese Richtung werden unsere Bemühungen vor allem 2022 und in den kommenden Jahren gehen: Wir wollen Herz und Verstand „unserer“ Männer und Frauen erreichen, damit sie in jeder der achtundzwanzigtausendachthundert Sekunden ihres Arbeitstages Herz und Verstand dafür einsetzen, dass der Körper jede Bewegung vermeidet, die zu einem Unfall führen könnte.
Ich habe das neue Jahrtausend bei Feralpi begonnen und bin seit 2013 Leiter des Dienstes für Prävention, Sicherheit und Umwelt. Trotz meiner großen Leidenschaft für die italienische Sprache betrachte ich die englische Abkürzung „HSE Manager“ als ein schönes Geschenk des Jahres 2022, denn sie ist griffig und erklärt prägnant, dass ich mich um die Sicherheit von Menschen und die Umwelt kümmere, innerhalb und außerhalb des Werks! Ich liebe meine Familie von ganzem Herzen und besonders meine Töchter Giulia und Paola, die mir jeden Morgen einen fünfminütigen Kindergartenbesuch und jeden Abend ein zweistündiges Chaos bescheren. Ich liebe Sport und die Sportarten, die ich getrieben habe und gerne treiben würde, die Reisen an ferne Orte, die ich schon fotografiert habe und noch sehen werde. Ich liebe es, mich im Sommer auf dem Fahrrad und im Winter auf Skiern in die Kurve zu legen, bergauf und bergab zu fahren, Reben zu züchten und guten Wein zu trinken. Und gute Küche ... am besten natürlich, wenn es schon auf dem Tisch steht!