Beim Thema Energie kann einem Angst und Bange werden
E Environment and Energy
Edited by Marco Taesi

Du musst aus einem Tunnel fliehen.

Du läufst und läufst, denn am Ende ist das Licht. 

Du weißt, es ist der richtige Weg, denn du spürst schon einen leichten Luftzug, und trotz der Finsternis bist du sicher, dass der Weg zum Ziel führt.

Du läufst und läufst, doch dann kommt der Moment, in dem du unwillkürlich langsamer wirst und dich zu fragen beginnst: Ist das wirklich der richtige Weg?

Mache ich das alles nicht umsonst? Bin ich vielleicht auf dem falschen Weg?

Das, was wie ein Ausschnitt aus einem Thriller wirkt, ist viel konkreter als man denkt. Dies gilt insbesondere für den Energiewende-Index (ISPRED), der im dritten Quartal 2021 gegenüber dem Vorjahreszeitraum, der durch die Pandemieeffekte geprägt war, um 35% gesunken ist. Nimmt man noch den Anstieg der Emissionen (+4 %) hinzu, der auch auf die verstärkte Nutzung fossiler Brennstoffe einschließlich von Kohle (+25 %) zurückzuführen ist, drängt sich die Frage auf, was denn da eigentlich vor sich geht. Flavio Bregant, Generaldirektor des Verbands der italienischen Stahlunternehmen Federacciai, gibt uns einen Einblick in die Energiefrage u.a. auch in der Stahlbranche.

  • DER ISPRED-INDEX

    Um die Entwicklung der Energiewirtschaft in Bezug auf die drei traditionellen Hauptaspekte der Energiepolitik (Dekarbonisierung, Versorgungssicherheit und Energiekosten für die Industrie) zu bewerten, hat die Nationale Agentur für neue Technologien, Energie und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung ENEA einen Index für die Energiewende entwickelt. Dieser Index wird als ISPRED bezeichnet und misst die Versorgungssicherheit, die Energiekosten und die Dekarbonisierung.

Viel Lärm um nichts, könnte man sagen ... was meinen Sie?

Das würde ich nicht sagen. Beginnen wir mit der Tatsache, dass sich die EU sehr anspruchsvolle Ziele auf dem Weg zur Dekarbonisierung gesetzt hat. Klar ist, dass es nicht nur um die Senkung des Verbrauchs geht, sondern um eine technologische Revolution, die zwangsläufig viel länger dauern und den Unternehmen mehr als die marktüblichen Kosten auferlegen wird. Wir müssen dies als etwas Positives ansehen und uns vor diesem Hintergrund ehrgeizige Ziele setzen, ohne dabei jedoch zu übertreiben. Wenn der Rest der Welt, allen voran China und Indien, dem Beispiel der EU nicht folgt, dann lauern große Gefahren, die auch die Wirtschaft betreffen. Es kann nicht sein, dass die EU als „Vorreiter“ der ökologischen Transformation Gefahr läuft, von anderen Supermächten zerdrückt zu werden. Wir müssen die Lage objektiv beurteilen: Erneuerbare Energien sind unsere Zukunft, aber sie sind derzeit nicht in der Lage, die Energiewende zu tragen und den Fortbestand der Industrie zu gewährleisten..

Können Sie uns ein Beispiel nennen?  

Das ist schnell zur Hand. Laut einer Studie des europäischen Verbands der Stahlerzeuger Eurofer wird die vollständige Dekarbonisierung der Stahlindustrie bis 2050 das Siebenfache der heute eingesetzten Energie erfordern. Wir reden hier über die Diversifizierung der Energieträger, Wasserstoffproduktion usw., ohne dabei Erdgas zu vergessen. Es sei daran erinnert, dass Erdgas nach wie vor dominiert, weil es die Brückentechnologie zur Dekarbonisierung darstellt.   

Reden wir über Europa: Wie stehen wir im globalen Spiel der Kräfte da?

Selbst beim Thema Energie sind die geopolitischen Verhältnisse alles andere als einfach. Ich glaube, dass die EU heute nicht in der Lage ist, den Entscheidungen zu begegnen, die beispielsweise von Russland bezüglich der Gasversorgung getroffen werden. Wir zahlen den Preis dafür, dass wir de facto keinen alternativen Anbieter haben. Auf der anderen Seite ist der Ferne Osten ein attraktiver Markt. Es ist kein Zufall, dass Russland eine neue Pipeline – die zweite – zur Belieferung Chinas von denselben Erdgasfeldern, von denen heute Gas nach Europa fließt, plant. Diese Entwicklung birgt die Gefahr, dass die EU nahezu machtlos wird.

Und Italien?

Italien kann seinen Teil dazu beitragen. Italien könnte etwa die Erdgasförderung auf dem eigenen Staatsgebiet wieder aufnehmen und die Reserven nutzen. Bei den erneuerbaren Energien ist Italien allerdings durch einige Besonderheiten im Nachteil. Während etwa Deutschland in der Nordsee Offshore-Windparks auf riesigen Flächen errichten kann, funktioniert das in Italien natürlich nicht. Wir haben nicht so viel Fläche, um die von Europa verlangten erneuerbaren Energien zu erzeugen. Tatsache ist, dass wir ein Nettoimporteur von Energie sind. Dennoch exportieren wir Energie. Dieses Paradoxon hat direkte Auswirkungen auf die Rohstoffkosten. Heute zahlen wir leider für die falsche Energiepolitik der letzten Jahre.

Wie wirkt sich das auf die Stahlbranche aus?

Die Auswirkungen auf die Stahlbranche sind verheerend. Die Stahlindustrie ist energieintensiv. Stahlwerke verbrauchen viel Energie, und in Italien wird die Energie weitgehend mit Erdgas erzeugt. Auch die Industriezweige, die Stahl weiterverarbeiten, verbrauchen Erdgas. All dies geschieht zu einem Zeitpunkt, zu dem die italienische Stahlindustrie wieder zu den Mengen aus der Zeit vor der Pandemie zurückkehrt. Die 2019 und 2018 erzeugten Mengen wurden sogar schon wieder übertroffen.

Was ist jetzt zu tun? Die Notlage entschärfen oder die Zukunft planen?

Wir müssen die Dinge miteinander verbinden und auf zwei Ebenen handeln. Zur Unterstützung der Konjunktur müssen die Unternehmen in die Lage versetzt werden, wieder zum Normalbetrieb zurückzukehren, indem Erdgas insbesondere erdgasintensiven Unternehmen zur Verfügung gestellt wird, und Italien sollte keine Energie exportieren. Strukturell zeigt sich heute auf nationaler wie internationaler Ebene, dass die jetzige Struktur des Strommarktes ineffizient ist und reformiert werden muss. Wir können es uns nicht leisten, dass das Fehlen interner Vereinbarungen auf EU-Ebene unser Land mit der zweitgrößten verarbeitenden Industrie in Europa benachteiligt. Nord Stream 2 (die neue Gaspipeline durch die Ostsee, durch die Gas von Russland über Deutschland direkt nach Westeuropa fließen soll) muss in Betrieb genommen werden.

Last but not least: Wie ist Ihre Meinung zum Thema Kernkraft?

In Italien haben wir in den letzten 30 Jahren unter einer schlechten Energiepolitik gelitten. Früher waren wir führend, heute haben wir unser Erbe verspielt, und damit auch unser Know-how. In Bezug auf CO2- Emissionen ist es eine saubere Energie und neue Technologien minimieren die radioaktiven Abfälle. Tatsache ist, dass auch bei der neuen europäischen Taxonomie Deutschland vielleicht nicht ganz aus der Kernenergie aussteigen wird, Frankreich ohnehin nicht. Der Zeitrahmen ist jedoch lang. Ich denke, wir müssen das Jahr 2050 ins Auge fassen, aber in Italien sind den Regierungen durch die komplizierten Mehrheitsverhältnisse die Hände gebunden.

 

KLIMASTRATEGIE: besserer Energiemix

Die Verringerung der Umweltbelastung und die Weiterentwicklung des Unternehmens erfolgen durch einen umweltfreundlicheren Energiemix: In den nächsten fünf Jahren wird die Feralpi-Gruppe in die Erzeugung erneuerbarer Energien investieren. Ziel ist es, eine installierte Leistung von über 100 Megawatt für den Eigenverbrauch zu erreichen, um damit 20% des Energiebedarfs der Unternehmen der Gruppe in Italien zu decken. Die Investition, die Teil der ESG-Strategie (Environment, Social, Governance) ist, bei der es u. a. um Klimaneutralität geht, wird sich auf etwa 100 Millionen Euro belaufen. Ziel ist eine Reduzierung der CO2-Emissionen um rund 85.000 Tonnen pro Jahr nach Abschluss des Projekts.

Marco Taesi

Bei Feralpi kümmere ich mich um die Kommunikation. Ich bin für die Medienarbeit und die Entwicklung von den digitalen und nicht-digitalen Inhalten zuständig. Ich liebe das Erzählen. Ich schreibe gern. Das mache ich in meiner Freizeit aus Leidenschaft und auch für die Arbeit, auch als Journalist. Ich kann mich also wirklich glücklich schätzen. Wie man so schön sagt: „Wähle einen Beruf, den du liebst und du brauchst keinen Tag mehr in deinem Leben zu arbeiten.“ Konfuzius hatte recht (aber sagt das bloß nicht dem Chef). An diesem Punkt sollte ich jetzt laut der Vorgaben, die wir bekommen haben, eigentlich schreiben, was meine Leidenschaft ist. Zwei stehen da mit Abstand an der Spitze: Giulia und Lorenzo. Abends steht mir die schwierigste, aber gleichzeitig auch die schönste Arbeit bevor. Einfach Papa sein.